Lina Kostenko (Ukraine)


 

«Kein Mensch oder anderes Lebewesen verdient es, getötet oder vernichtet zu werden. Das Schicksal kann hier auf Erden nicht erfüllt werden.»

Lina Kostenko ist eine der bedeutendsten nationalen Dichter/-innen in der Ukraine. Jetzt, mit 74, inspiriert und begleitet sie Erkundungsreisen nach Tschernobyl. Sie ist Expertin für Ethnologie, Volkstum und Soziologie. Zusammen mit einer Gruppe Freiwilligen arbeitet sie daran, die Kultur und Geschichte Tschernobyls zu bewahren. Die Freiwilligen besuchen Menschen, die sich geweigert haben, ihre Häuser zu verlassen. Sie bieten Hilfe an oder hören einfach ihrer Geschichte zu. Als Dichterin fühlt sich Lina Kostenko verantwortlich für jedes Wort, das sie äußert. Für sie ist die Wahrheit das Hauptkriterium.

Lina Kostenko wurde 1930 im Raum Kiew geboren. Sie war noch ein Kind, als der 2. Weltkrieg ausbrach, und erlebte die Besetzung ihrer Heimat durch die deutschen Truppen. Diese Ereignisse spiegelten sich in den Gedichten wider, die sie mit 14 Jahren zu schreiben anfing. Nach dem Krieg machte sie am Moskauer Institut für Literatur ihr Examen. Nach dem Studium kehrte sie in die Ukraine zurück und schrieb und veröffentlichte eine Reihe von Lyrikbänden (1957, 1958 und 1961). Ihre künstlerische Tätigkeit begann, als das autoritäre Regime der Sowjetunion gerade im Zenit stand. Künstler/-innen durften keine eigene Lebensvision, keinen eigenen künstlerischen Ausdruck haben, sondern mussten ihre Dichtung den Forderungen des sozialistischen Realismus anpassen. Aber in den 1960er Jahren formulierte Lina Kostenko die Wünsche und Hoffnungen der Nachkriegsgeneration ukrainischer Schriftsteller/-innen, unter ihnen Vasyl Simonenko, Mykola Vinhranosky und Ivan Drach. Sie wollten die ukrainische Literatur wieder zum Leben erwecken und Raum für eine nationale Literatur schaffen, unabhängig von politischen Dogmen und vom gegenwärtigen kommunistischen System. Zusammen mit anderen unabhängigen Autoren/-innen unterzeichnete Lina Kostenko Petitionen zur Verteidigung politischer Gefangener, mit denen sie Menschen unterstützte, die wegen freier Meinungsäußerung bestraft wurden. Nie waren ihr Elend und Sorgen anderer Menschen gleichgültig und das drückt sich in ihren Gedichten und Handlungen aus. Sie ist eine begabte Frau, die das Leben genießt, und trotz ihres Alters aktiv und energiegeladen ist. Durch die Begegnung mit Menschen und die Nähe zur Natur nimmt sie die Schmerzen anderer als ihre eigenen wahr. Deshalb hat sich die berühmte Dichterin entschlossen, nach Tschernobyl zu gehen, in eine der leidgeprüftesten Gegenden der Ukraine, um Kultur und Vertrauen der Menschen mit der Kraft der Humanität zu retten.

This post is also available in English.